Montag, 9. Januar 2017

Es ist eine Frage des Geldes

Was für ein langweiliger Abend, dachte ich besonders nach der ersten Hälfte der Generalprobe von Otello an der Staatsoper. Konzertanter Opernabend mit einem Riesenkran auf der Bühne, na super. Immerhin agierten die Darsteller_innen in den letzten beiden Akten mehr, vieles war trotzdem unbewegt. Ich ging nach Hause und ärgerte mich über meine Premierenkarte. Gestern war es dann so weit. Ich saß tatsächlich in der dritten Reihe, hervorragender Blick, mächtiger Klang. Ich gab der Inszenierung eine zweite Chance. Bereits der Anfang hat mich mehr gepackt. Leiden sieht man wohl nur aus der Nähe gut. Von dem Balkon der Loge sah es aus wie eine Fernsehübertragung. Packend auch der wirklich körperlich spürbare, schlagartige Beginn des Orchesters, der Chor von Geflüchteten in alten Kleidern singt nein fleht einen an. Das HELP ME auf der Hand einer Sängerin ist von hier aus zu erkennen. Die Figuren des Stücks sind in Anzügen und Abendkleidern dagegen abgegrenzt und die Männer in Anzügen stehen plakativ vor der Stacheldrahtabgrenzung. Als der Stacheldrahtzaun beseitigt wird, bleiben die Verhältnisse so. Bei der Feier bekommen sie nur die Almosen der Anzugträger und werden mit Champagner bespritzt, den sie sich gierig vom Gesicht lecken. Gelungener Anfang, interessante Idee. Wenig Provokativ, wenn man all die Theaterstücke, die so inszeniert wurden, schon gesehen hat (z.B. Die Schutzbefohlenen am Thalia Theater), aber trotzdem ergreifend, wenn man sich darauf einlässt, schließlich sind die realen Probleme seitdem nicht verschwunden.
30 oder 100 Euro?* Was ist es einem Wert, was kann man bezahlen? Wer sitzt unten, wer sitzt hinten? Die Inszenierung hat Calixto Bieito m.E. klar von vorne erdacht. Genauso wie in der Inszenierung gibt es die auf den billigen Plätzen und die im Abendkleid und Anzug mit Champagner in der Pause. Auf den schlechteren Plätzen hört man ganz gut, aber man sieht nicht die intensive Mimik mehrere Darsteller_innen gleichzeitig, man fühl die Musik Verdis nicht überwältigend körperlich, die enorme Kraft eines geschlossen rufenden Chores zu einem selbst, dem Zuschauenden. Was man dagegen hört ist das hier noch lautere, etwas geschrieene Singen des eingesprungenen Tenors (Marco Berti), das lästige minutenlange Quietschen der Schuhe, als die Menschenmenge auf dem gummiartigen Boden zum Bühnenende zurückschlurfte. Das war für mich bei der Premiere in der dritten Reihe nur leicht wahrzunehmen, oben war es grausam penetrant.
Musikalisch war der Otello wunderbar, auch schon am Donnerstag! Besonders die heimliche Hauptrolle Jago, gesungen von Claudio Sgura, überzeugte durch traumhaften Gesang und ein Schauspiel besonders in der Mimik, das passender für einen grausam-intriganten Menschen gar nicht hätte sein können. Sehr emotional war auch sein Partner Otello, er spielte gut, sängerisch ist das metallische, oft so laute und verstärkte Singen, das manchmal in den Ohren wehtat, nicht meins. Svetlana Aksenova als Desdemona ist eine Traumbesetzung. Die allerhöchsten Töne wollen nicht ganz offen bleiben, aber alles andere ist wie für sie geschrieben. Sie bringt einen mit dem „Lied der Weide“ fast zum Weinen, obwohl sie sich währenddessen nur mit ihren Händen festhaltend vor der Balustrade des Krans in ein paar Metern Höhe balanciert. Das Orchester unterstützt alle Gefühlsregungen des Stücks. Die Wut und Hilflosigkeit, tragische Liebe und Trauer, Gewalt, Schicksalsergebenheit und sogar Mord und Tod. Wunderschöne Klänge entstehen, besonders in den großen und in den ganz kleinen kammermusikalischen Momenten der Streicher und Holzbläser.

* Bei der Premiere waren die Karten deutlich teurer (1. Kategorie ca. 180€), dies ist der Preis ab der zweiten Aufführung.

→ Nichts für kleine Kinder! Ein Mann wird erhängt (spielt sehr realistisch) und hängt 20min am Krahn, eine Vergewaltigung von Desdemona wird angedeutet.
 
Audioversion des Textes hier:
Es ist eine Frage des Geldes - Otello

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Otello (Verdi)
Staatsoper Hamburg
Regie: Calixto Bieito
Bühnenbild: Susanne Gschwender
Kostüme: Ingo Krügler
Licht: Michael Bauer
Dramaturgie: Ute Vollmar

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